Der erfolgreichste Sportler, den der SV Gelnhausen jemals hervorgebracht hat, wird morgen 60 Jahre alt

Von Dieter Geissler

Mit Superlativen sollte sparsam umgegangen werden, damit sie sich nicht abnutzen, aber im Fall von Dieter Dörr lassen sie sich gar nicht vermeiden. Immerhin reden wir über den erfolgreichsten Sportler, den der Schwimmverein Gelnhausen (SVG) jemals hervorgebracht hat – und zwar aus gutem Grund, denn der ehemalige Weltklasse-Wasserspringer wird am morgigen Sonntag 60 Jahre alt. Wobei er sich nach eigener Aussage noch viel jünger fühlt, gerne auf das Erreichte zurück und mit Optimismus in die Zukunft blickt.

Wer zweimal bei Olympischen Spielen sowie diversen Welt- und Europameisterschaften am Start war sowie Deutsche Meistertitel wie andere Briefmarken gesammelt hat (39 waren es im Fall von Dörr), der darf getrost als Ikone seiner Sportart bezeichnet werden. All diese Erfolge kommen nicht von ungefähr, wie der Jubilar betont. „Ich habe 1970, als ich von Burgsinn nach Gelnhausen kam, mit dem Wasserspringen begonnen. An diesem Sport hängt mein Herzblut, ich bin ja immer noch aktiv, weil es mir so großen Spaß macht“, blickt Dörr auf die Anfänge zurück.

50 Pfennig als Eintrittskarte für eine Weltkarriere

Diese Passion für das Wasserspringen hat auch dazu geführt, dass der Röther seit 1986, unmittelbar nach dem Ende seiner Leistungssport-Karriere, beim SVG als Trainer arbeitet und insoweit ein Garant dafür ist, dass der heimische Verein weitere erfolgreiche aktive Springer wie Josef Stadler und Christoph Nick, die Dritte bei der Deutschen Jugendmeisterschaft im Synchronspringen wurden, und Sabrina Gerk, die Süddeutsche Meisterin war, hervorbrachte. „Ich gebe meine Erfahrung sehr gerne an die nachwachsenden Generationen weiter, es ist schön zu sehen, wie sich die Talente beim SVG entwickeln.“
All das wäre nicht möglich gewesen, wenn wie so oft im Leben der Zufall nicht Pate gestanden hätte. „Ich ging als junger Bub ins Röther Waldschwimmbad und bin dort einfach mal von den Brettern gesprungen. Schwimmmeister Hartmut Biester, der damals dort eine Institution war, hat mich beobachtet und mich zum SV Gelnhausen weitervermittelt, wo Ferdinand Schmitt die Wasserspringer trainierte. Bei ihm habe ich vom Ein- und vom Drei-Meter-Brett trainiert. Später habe ich dann das Turmspringen angefangen, dazu musste ich nach Offenbach ins dortige Tambor-Bad fahren, da ich in Gelnhausen hierzu nicht die Möglichkeit hatte. In Offenbach nahm mich Rudi Altmann unter seine Fittiche – dank der intensiven Zusammenarbeit mit meinen beiden Trainern konnte ich mich ständig weiter verbessern. Ich habe selbstverständlich auch nicht mit einem komplizierten Salto vom Zehn-Meter-Turm angefangen, sondern mich über das Ein-Meter-Brett Stück für Stück nach oben gearbeitet“, skizziert Dörr seine frühen Sportlerjahre. Zumal das erste Training in Gelnhausen eine schicksalhafte Pointe hatte. „Dazu hätte ich 50 Pfennige Eintritt ins Schwimmbad zahlen müssen. Ich hatte kein Geld dabei, da ist Ferdinand Schmitt eingesprungen und hat den Betrag für mich bezahlt – ich denke, das war im Nachhinein betrachtet eine Investition, die sich vollauf gelohnt hat“, erinnert sich der SVG-Vorzeigeathlet mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Fünf bis sechsmal in der Woche habe er als Jugendlicher und als junger Mann trainiert, um seinen eigenen hohen Ansprüchen zu genügen und seine Ziele zu erreichen. „In meiner aktiven Zeit, als ich auch schon in der Verwaltung arbeitete, lag der reine Trainingsaufwand bei 15 Stunden in der Woche. Mittlerweile trainieren die deutschen Spitzenathleten 30 Stunden lang. Das Niveau ist so stark angestiegen, dass ich heute keinerlei Chancen mehr hätte, einen Deutschen Meistertitel zu gewinnen. Die Entwicklung im Wasserspringen war so rasant, dass heute die Frauen höhere Schwierigkeitsgrade in ihre Sprünge einbauen, als ich es zu meiner besten Zeit vermochte.“
Diesen Sachverhalt mache er auch immer wieder jungen Menschen klar, die anfragen, ob sie bei ihm trainieren dürften. Beim SV Gelnhausen betreiben wir leistungsorientierten Sport. Aber wer wirklich in die nationale oder internationale Spitze will, der muss als klassischer Leistungssportler zwingend in einem Bundesstützpunkt trainieren und sich dem dortigen täglichen Programm stellen.“

1980: Die „verpasste Lebens-Chance“

Auch wenn die Verhältnisse damals andere waren – die Erfolge von Dieter Dörr sind aller Ehren wert und ein wichtiger Teil der regionalen Sportgeschichte. „Mein persönlicher Höhepunkt war der Gewinn der EM-Bronzemedaille vom Drei-Meter-Brett 1985 in Sofia. Das war die einzige internationale Medaille, die ich als Aktiver gewonnen habe. Ich hätte mich gefreut, wenn es noch ein paar mehr geworden wären, aber die Konkurrenz war immer stark.“
Ganz besondere Erlebnisse seien natürlich die Olympischen Spiele 1976 in Montreal und 1984 in Los Angeles gewesen, wo er bei seinen Starts immer unter den Top 20 der Welt landete. Ein Wermutstropfen bleibt aus Dörrs Sicht der OlympiaBoykott der Bundesrepublik Deutschland, die 1980 aufgrund des Afghanistan-Einmarsches der Sowjetunion seinerzeit ebenso wie die meisten westlichen Nationen keine Starter zu den Spielen nach Moskau schickte. „Ich hatte mich im Vorfeld extra zwei Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet, um optimal trainieren zu können und bestens vorbereitet zu sein. Dann kam der Boykott… Um ehrlich zu sein: Aus politischer Sicht fand ich die Entscheidung damals gar nicht so falsch, im Nachhinein muss ich aber sagen, dass die Maßnahme ihre Wirkung verfehlt hat und insofern ein Fehler war. Glücklicherweise hatte ich die Möglichkeit, bei anderen Olympischen Spielen zu starten, denn das ist nun mal für jeden Sportler eine Lebens-Chance. Zumal die Nominierungskriterien des Nationalen Olympischen Komitees damals schon sehr hart waren und es auch heute noch sind. Ich denke in diesem Zusammenhang an unseren SVG-Schwimmer Alexander Kunert, dem selbst als Deutscher Meister über 200 Meter Schmetterling die Olympia-Teilnahme verwehrt wurde.“
Anhand dessen blickt Dieter Dörr an seinem Ehrentag sowohl auf seine sportliche Laufbahn als auch auf seine berufliche Karriere als Verwaltungsbeamter und sein Engagement als Sportförderer sowie Kommunalpolitiker in der Barbarossastadt zufrieden zurück. „Ich bin zwar kein gebürtiger Gelnhäuser, fühle mich aber der Stadt sehr verbunden, hier ist meine Heimat, in der ich weiter gerne mitgestalten möchte.“ Insofern stelle sich für ihn auch die Frage nach dem Ruhestand nicht: „Ich bin ja sozusagen noch mitten im Geschäft, was den Beruf und meine sportlichen Interessen angeht.“ Er fühle sich keineswegs wie 60 und freue sich auf das heute Abend anstehende Hineinfeiern in seinen Ehrentag mit der Familie und Freunden. „Am Sonntag selbst werde ich mich dann wahrscheinlich ein bisschen ausruhen müssen.“
Das Geburtstagskind habe in der Tat Großes geleistet, bekräftigt abschließend auch der Vorsitzende des Schwimmvereins, Dr. Rolf Müller: „Typisch für Dieter war, dass er donnerstags und freitags den ersten Teil seines Abiturs machte, dann am Wochenende bei der Olympia-Qualifikation sprang und am Montag und Dienstag den zweiten Teil der Abiturprüfung absolvierte.“ So sei er 1976 als Olympionike nach Montreal gekommen. „Dieter ist zuverlässig, ein guter Freund, ein sozial denkender und handelnder Mensch, der trotz seiner großartigen Erfolge bescheiden geblieben ist. Und er gibt wie selbstverständlich sein Wissen, sein Können und seine Erfahrung an den Nachwuchs weiter, ohne Aufhebens und ohne finanzielle Absichten. Er ist ein Vorbild.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Zwei Olympiateilnahmen, diverse WM- und EM-Medaillen sowie 39 Deutsche Meistertitel: Der Röther Dieter Dörr zählte zur Weltelite der Wasserspringer. Heute gibt er seinen reichen Erfahrungsschatz als Trainer weiter. FOTOS: RIEMANN, GNZ

 Gelnhäuser Neue Zeitung

Zur Person: Dieter Dörr

Dieter Dörr wurde am 6. August 1957 in Burgsinn geboren und zog als 13-Jähriger mit seiner Familie in den Gelnhäuser Stadtteil Roth.
Der Leiter der Zentralen Dienste der Stadt Bad Orb ist verheiratet und hat zwei Söhne. Dörrs sportliche Vita ist exklusiv: Zwei Olympia-Teilnahmen (1976 und 1984, dabei in Los Angeles sechster vom ZehnMeter-Turm), WM-Starts mit Top-Ten-Platzierungen und eine EM-Bronzemedaille stehen für ihn zu Buche. Zudem gewann der Röther 39 deutsche Meistertitel bei den Aktiven.
Der Jubilar wurde 74 Mal Hessischer Meister in der offenen Klasse, 38 Mal Süddeutscher Meister und weitere 40 Mal Deutscher Vizemeister. Auch bei den Masters, den „Alten Herren” des Wasserspringens, genießt der Protagonist mittlerweile Legendenstatus: Er wurde zweimal Europameister (im Jahr 2007) und viermal Weltmeister (2000 in München und 2008 in Perth). Seit 1996 ist Dörr als· Sprungwart Mitglied des SVG-Vorstandes. Dem Vorstand der Sparkassen-Sportstiftung MainKinzig gehört er seit November 2011 an.
Der überzeugte Christdemokrat saß von 2003 bis 2014 für die CDU in der hessischen Landessportkonferenz, er war viele Jahre Mitglied der Gelnhäuser Stadtverordnetenversammlung und zwei Jahrzehnte fester Bestandteil des Röther Ortsbeirats. Dörr wurde für sein vielfältiges gesellschaftliches Wirken unter anderem mit dem Hessischen Landesehrenbrief ausgezeichnet.