Der SVG-Vorsitzende würdigt die 44 Jahre lang praktizierte Schwimmer-Freundschaft der Gelnhäuser mit dem Club in Nevers
Von Dr. Rolf Müller
Nur kurze Zeit, nachdem die offizielle deutsch-französische Freundschaft zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle und die Verschwisterung zwischen der GrimmelshausenStadt Gelnhausen und Clamecy, dem Geburtsort des Nobelpreisträgers Romain Rolland, besiegelt war, regte sich schon beim Schwimmverein Gelnhausen und seinem Vorsitzenden Ferdinand „Ferdi“ Schmitt der ihm eigene Pioniergeist und sein unbändiger „Forschungsdrang“.
Bereits im Sommer 1964 startet in einem Sinsel-Bus eine Gruppe des SVG mit einigem Bangen nach Burgund und passiert bei Saarbrücken die deutsch-französischen Grenzkontrollen. Fast alle Wassersportler aus der Barbarossastadt betraten zum ersten Mal in ihrem Leben „fremden Boden“ und das Land des früheren „Erbfeindes“, wie es meine Großmutter noch nannte.
Maßgeblichen Anteil an der Freundschaft zwischen dem SVG und dem Canoe-Kayak-Club von Clamecy hatte auf französischer Seite der damals erst 20-jährige Alain Colas, Sohn des Leiters der städtischen Fayence-Fabrik, der später als Weltumsegler berühmt wurde und 1978 vor den Azoren tragisch ums Leben kam. Da es in der Stadt an der Yonne keinen Schwimmverein gab, wurde der Vergleichswettkampf in der 70 Kilometer entfernten Departements-Hauptstadt Nevers gegen den dortigen „Club Nautique Nivernais“ ausgetragen.
In Clamecy triumphierte die Völkerverständigung zwischen den deutschen und französischen Jugendlichen mit Händen, Füßen sowie englischen und französischen Sprachversuchen. Die ersten Begegnungen mit Rotwein, giftgrüner „Diabolo Menthe“, der „Spezialität“ Andouillette (na ja), den typischen Stehtoiletten, dem obligatorischen Baguette und den fremd anmutenden Bettbezügen sorgten für die gemischt-schönen Gefühle, doch ein wenig in der Fremde zu sein. Die Tage vergingen wie im Flug mit Kanu- und Kajakfahrten und Wasserschlachten auf und mit humoristischen Schwimm-„Wettkämpfen“ in der Yonne, der Kinzig von Clamecy. Besuche in der berühmten Wallfahrtskirche Vézelay, wo Bernhard von Clairvaux im Jahre 1146 zur Teilnahme am 2. Kreuzzug aufrief, Reitversuche in Trucy oder wohl schmeckende Verkostungsversuche im berühmten Weinort Sanscerre gehörten zu den kulturellen, kulinarischen und touristischen Attraktionen der SVG-Premiere in der ehemaligen Flößerstadt.
Zu einer beliebten Anlaufstelle für die deutschen Besucher wurde der Friseurladen auf dem „Platz des 19. August“ direkt neben der Kathedrale und gegenüber dem Rathaus, wo der aus dem Elsass stammende und deutsch mit Sing-Sang-Effekt sprechende Monsieur Stengel, der Barbier von Clamecy, residierte. Allerdings waren nicht alle Einwohner der Schwesterstadt so hoch erfreut über den Besuch aus dem Nachbarland Deutschland. Aus einem Haus hing demonstrativ eine schwarze Fahne mit einem Totenkopf und dem Hinweis, dass die „dreckigen Deutschen“ (Sales Boches) in der Stadt seien. Kriegserlebnisse und persönlich schmerzliche Erfahrungen lassen sich nicht einfach von jetzt auf später ausradieren, und Freundschaft lässt sich nicht per Dekret verordnen.
Doch der freundschaftliche und herzliche Kontakt zwischen den Jugendlichen der beiden Nationen war eine überzeugende Bestätigung für die Absicht des deutsch-französischen Jugendwerks, „das gegenseitige Verständnis zu vertiefen und die Kultur des Nachbarlandes näher zu bringen“.
Beim Abschied flossen einige Tränen, die aus Freude oder aber mehr aus Abschiedsschmerz vergossen wurden, vielleicht wurde auch das eine oder andere „Je t’aime“ gehaucht, aber auf jeden Fall waren die in diesem Augenblick abgegebenen Versprechen, sich im nächsten Jahr wiederzusehen, sehr ernst gemeint. Doch häufig ist die Wirklichkeit anders als das Wollen. Der Kontakt mit den Wassersportlern in Clamecy wurde in dem Maße brüchiger, wie die Verbindung zu den Schwimmern und Wasserballern in Nevers enger wurde.
Hinzu kam, dass der „Motor“ der Verschwisterung in Clamecy, Alain Colas, im Jahre 1966 nach Australien auswanderte, wo er in Sydney am St. John’s College französische Literatur lehrte. So konnte am Ende auch die Tatsache, dass in Clamecy ein kombiniertes Frei- und Hallenbad entstand und sich später sogar ein Schwimmverein („ASC Natation“) gründete, die Verschiebung der Verschwisterungskoordinaten zugunsten des „Club Nautique Nivemais“ nicht mehr rückgängig machen. Lange Jahre machten die Delegationen des Schwimmvereins auf dem Weg nach Nevers immer einen offiziellen Abstecher in die Partnerstadt Clamecy, wo es dann im Rathaus oder an der „Plage“ einen Ehrenwein und den Austausch von Gastgeschenken gab. Die Zeiten haben sich im Laufe der Jahre ebenso verändert wie die Reisegewohnheiten und die Ansprüche der jüngeren Generationen. Waren es im Jahre 1965 für einen Jugendlichen noch eine Herausforderung und ein Abenteuer, über die Grenze zum westlichen Nachbarn zu reisen, haben diese Fahrten heute weitgehend an Attraktivität verloren; die Welt lockt mit anderen Zielen.
1999 kündigte ein neuer Vorstand des Schwimmclubs in Nevers aus finanziellen Gründen die 44 Jahre lang bestehende Schwimmer-Freundschaft. Damit endete ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des Schwimmvereins Gelnhausen, das niemand, der es miterlebte, missen möchte.
Dr. Rolf Müller: Der Vorsitzende des SV Gelnhausen und Präsident des Landessportbundes Hessen blickt auf eine wichtige Episode in der Geschichte seines Vereins zurück. FOTO: RE